Die Spannungen zwischen der EU und der Türkei dürften nach Erdogans Sieg anhalten

Die Europäische Union und die Türkei sind in vielen Fragen uneins – und die Probleme werden wahrscheinlich auch nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdogan bestehen bleiben. Ein EU-Beitritt der Türkei ist in absehbarer Zeit unwahrscheinlich.

Wie sieht die EU ihr Verhältnis zur Türkei?

Die Europäische Kommission kritisiert die zunehmend autoritäre Herrschaft von Recep Tayyip Erdogan. „Die ernsthaften Bedenken der EU hinsichtlich der anhaltenden Verschlechterung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte und der Unabhängigkeit der Justiz wurden nicht angesprochen“, schrieben Beamte des Europäischen Auswärtigen Dienstes in ihrem Bericht über die Türkei aus dem Jahr 2022.

Dennoch bleibe die Türkei ein strategisch wichtiger Partner in den Bereichen Migration, Klimaschutz und Energiesicherheit, heißt es in dem Bericht. Mit seinem gut ausgerüsteten Militär spielt das NATO-Mitglied auch eine wichtige Rolle als Vermittler des Getreidehandelsabkommens zwischen Russland und der Ukraine. Doch die EU-Spitzenpolitiker kritisierten scharf die Drohgebärden der Türkei gegenüber den Mitgliedsstaaten Griechenland und Zypern durch wiederholte Territorialverletzungen durch Luftwaffe und Marine.

Die EU hat die türkischen Behörden außerdem wiederholt aufgefordert, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu respektieren und den Aktivisten Osman Kavala freizulassen, der 2022 wegen seiner Teilnahme an regierungsfeindlichen Protesten im Istanbuler Gezi-Park zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Proteste wurden als Putschversuch der Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Erdogan dargestellt, was es der Regierung ermöglichte, Kavala im weiteren Sinne der Beteiligung an einem Putschversuch zu beschuldigen.

Wie ist die Haltung der Türkei?

Laut einer Analyse des türkischen Außenministeriums sind die Beziehungen seit Jahrzehnten von Höhen und Tiefen geprägt. Nach dem mutmaßlichen Putschversuch gegen Erdogan im Juli 2016, auf den die Türkei mit Notstandsgesetzen und Einschränkungen demokratischer Rechte reagierte, habe sich die Lage weiter verschlechtert, räumte das Ministerium ein.

Doch „die kalte und kritische Haltung der EU nach dem hinterhältigen Putsch vom 15. Juli hat zu einer Vertrauenskrise geführt“, so das Ministerium. Beamte sagten, es sei „eine Phase der Schwächung des Dialogs“ eingetreten, nachdem ihre EU-Kollegen „notwendige Maßnahmen“ kritisiert hatten, die die türkische Regierung in der Folgezeit verhängt hatte. Erdogan wirft dem im US-Exil lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen vor, den Putsch geplant zu haben.

Die Europäische Union bleibt jedoch ein wichtiger strategischer Partner für die Türkei, die häufig auf die Bedeutung eines Abkommens von 2015 hinweist, das vertriebene Syrer im Land hielt, anstatt ihnen die Einreise in die EU zu ermöglichen. Mittlerweile leben etwa 3,5 Millionen Syrer in der Türkei, die Zahlungen und Zusagen für finanzielle Unterstützung in Höhe von fast 9 Milliarden Euro (9,65 Milliarden US-Dollar) erhalten hat.

Es ist eine fragile Vereinbarung. Im Jahr 2020 öffnete Erdogan kurzzeitig die Grenze der Türkei zu Griechenland in der Nähe von Edirne, um vertriebene Syrer als politisches Druckmittel zu nutzen.

Ist die Türkei noch ein EU-Beitrittskandidat?

Das Ziel der türkischen Regierung bleibt, irgendwann der Europäischen Union beizutreten – wenn es der EU nach Angaben des Außenministeriums gelingt, ihre internen Probleme zu lösen. Nach dieser Präsidentschaftswahl könnten die Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen werden, allerdings müsste die Türkei zunächst Zypern zumindest indirekt als EU-Mitglied anerkennen. Türkische Truppen haben den nördlichen Teil des Landes seit fast 50 Jahren besetzt.

Im Jahr 2018 hat die Europäische Union die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei faktisch ausgesetzt, aber nicht vollständig abgebrochen. „Ich würde nicht sagen, dass sie tot sind“, sagte Amanda Paul, leitende Analystin beim Think Tank European Policy Centre in Brüssel. „Ich würde sagen, sie liegen im Koma.“

Mit Erdogan an der Macht bestehe kaum Aussicht, dass sich dies ändern wird, sagte Paul – obwohl vieles von der Europäischen Union und nicht nur von der Türkei abhängt.

Amanda Paul spricht in ein Mikrofon der Marke DWAmanda Paul spricht in ein Mikrofon der Marke DW
Paul vom European Policy Centre ist hinsichtlich der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei nicht optimistisch. Bild: DW

„Es ist eine seltsame Beziehung, die sich mit der Zeit verschlechtert hat“, sagte Paul. „Ehrlich gesagt erwarte ich keine positive Veränderung.“

Bei den Mitgliedsstaaten und in Brüssel bestehe derzeit eher wenig Interesse am Umgang mit einer zunehmend nationalistischen Türkei, sagte Paul. Und doch fügte sie hinzu: „Die EU-Mitgliedschaft erfreut sich bei den Türken immer noch großer Beliebtheit. Etwa 70 % der Bevölkerung wollen immer noch der EU beitreten.“

Wie sind die Aussichten nach der Wahl?

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich bei ihrem Treffen mit ihrem Amtskollegen Mevlut Cavusoglu im Juli 2022 in Istanbul deutlich kritisch gegenüber der Türkei. Sie machte aber auch klar, dass keine weitere Konfrontation nötig sei und sagte, die NATO müsse zusammenhalten, um Russland abzuwehren.

„Zu Freundschaft gehört auch, einander zuzuhören, bis einem die Ohren schmerzen“, sagte Baerbock auf einer Pressekonferenz während ihres Besuchs. Der Bezug zur Freundschaft ist nicht unbedeutend.

Daraus folgt, dass die Europäische Union und die NATO erwarten, dass die Türkei nach der Wahl endlich ihre Zustimmung zum Beitritt Schwedens zum Militärbündnis erteilt, den Erdogan im Vorfeld der Abstimmung vermutlich aus politischen Gründen blockiert hatte. Sowohl der Beitritt Schwedens als auch Finnlands zur NATO war bereits vor knapp einem Jahr beschlossen worden. Erdogan zog im April sein Veto gegen Finnland zurück. Sein Daumen hoch für Schweden wird voraussichtlich im Juli folgen.

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