Nachdem bekannt wurde, dass der deutsche Finanzminister kurz nach seiner Rede bei seiner Veranstaltung eine großzügige Kreditlinie von einer Bank erhalten hat, wird die Frage aufgeworfen, ob die Korruptionsgesetze des Landes zu mild sind.
Hat Christian Lindner nur oder teilweise einen Privatkredit in Millionenhöhe bekommen, weil er als Bundesfinanzminister eine bestimmte Bank befördert hat? Das wäre ein klarer Fall von Korruption für den Vorsitzenden der wirtschaftsorientierten, neoliberalen Freien Demokraten (FDP), der kleinsten Partei in der Mitte-Links-Regierung mit Sozialdemokraten (SPD) und den Grünen.
Der Vorfall ist der Berliner Staatsanwaltschaft nicht verborgen geblieben.
Trotz privater Geschäftsbeziehung erklärte sich Lindner bereit, im Frühjahr 2022 in seiner Funktion als Bundesfinanzminister eine Eröffnungsrede zur Hundertjahrfeier der Bank zu halten. Die auf einer großen Vertreterversammlung in Karlsruhe übertragene Rede lobte die Bank indem er unter anderem sagt: “Für mich ist die BBBank grundsätzlich attraktiv.”
Lindner hatte damals bereits einen Kredit über 2,35 Millionen Euro bei der BBBank aufgenommen. Wenige Wochen nach der Rede gewährte die Bank Lindner einen weiteren Kredit über 450.000 Euro. Was hat die Bank bewogen, eine Kreditlinie zu bewilligen, die mehr als 1 Million Euro über den Anschaffungskosten der Immobilie lag?
Langjährige Geschäftsbeziehung
Lindner pflegt seit vielen Jahren eine enge Beziehung zur BBBank. 2014, als er nicht Abgeordneter war, weil die FDP an der 5-Prozent-Hürde für den Einzug in den Bundestag gescheitert war, gab er Zeugnisse in Anzeigen für die Bank ab.
Gleichzeitig hielt Linder landesweit Vorträge auf Veranstaltungen der Bank. Die Gebühren, die er aus diesen Vorträgen beschafft hat, sind auf seiner offiziellen Website aufgeführt und können zwischen 7.000 und 15.000 Euro pro Vortrag liegen.
In Deutschland ist das Werben von Politikern gesetzlich nicht verboten, und bis 2021 durften auch Bundestagsabgeordnete so viele bezahlte Reden halten, wie sie wollten. Laut einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung der Metallgewerkschaft erhielt in der Legislaturperiode 2017 bis 2021 etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten neben ihren üppigen Gehältern zusätzliche Einnahmen in Höhe von rund 53 Millionen Euro. Von diesen gehört Lindner bekanntlich zu den Spitzenverdienern.
Wird von der Berliner Staatsanwaltschaft geprüft
Dennoch könnte Lindners Rede von 2022 eine Grenze überschritten haben. Ein Bundesfinanzminister, der eine Bank öffentlich lobt und anschließend eine großzügige Kreditlinie erhält, wirft zahlreiche rechtliche Fragen auf.
Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums betonte, solche Reden seien „keineswegs ungewöhnlich“. Sie ging jedoch nicht auf die Frage ein, ob Lindner seine private Geschäftsbeziehung vollständig transparent gemacht und seinen neuen Kredit mit Beamten des Ministeriums geklärt hatte.
Genau diesen Fragen geht nun das Anti-Korruptions-Team der Berliner Generalstaatsanwaltschaft nach. Würde die Bank Lindner für seine Dienste einen ungewöhnlich hohen Kredit gewähren, wäre das eine Straftat. Das Büro prüft derzeit, ob eine offizielle Korruptionsuntersuchung eingeleitet werden soll. Dabei gibt es jedoch eine große Hürde: Sie müssten beim Bundestag beantragen, Lindners parlamentarische Immunität auf Lebenszeit zu erhalten.
Linder bestreitet Fehlverhalten
Einige Oppositionelle im Bundestag haben bereits Lindners Rücktritt gefordert. Der stellvertretende Vorsitzende der postkommunistischen Linkspartei Lorenz Gösta Beutin sagte dem Magazin „Der Spiegel“, es gebe Hinweise darauf, dass Lindner seinen Job als Minister „möglicherweise nicht klar von seinen privaten Interessen trennen“ könne. „Sollte sich der Verdacht erhärten und es zu einem Strafverfahren kommen, wäre der Rücktritt des Finanzministers unausweichlich“, sagte er.
Lindner seinerseits hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Über seinen Anwalt hat er erklärt, dass seine private Immobilienfinanzierung bei der BBBank lange vor seiner Kabinettstätigkeit begonnen habe und dass etwaige Unregelmäßigkeiten bei der Kredithöhe mit den massiven Schwankungen des Immobilienmarktes zu tun hätten. Er hat auch gesagt, dass es für einen amtierenden Minister kein Verbrechen sei, eine Videobegrüßung für eine Banksitzung aufzuzeichnen.
Schlupflöcher im Korruptionsgesetz
Der Begriff „Korruption“ findet sich eigentlich nicht im deutschen Strafgesetzbuch. Das Gesetz unterscheidet zwei Delikte: „Vorteilsannahme“ bei der Ausübung von Amtspflichten und Bestechung. Für letztere ist sogar die Äußerung der Bereitschaft zur Annahme eines Bestechungsgeldes ein Verbrechen.
Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland begrüßte die Nachricht, dass die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe prüft. „Rechtsstaatlichkeit muss auch und zwar in besonders kritischer Weise für einen Bundesminister gelten“, sagte der Anwalt der Gruppe, Wolfgang Jäckle, der Funke Mediengruppe.
Deutschland liegt derzeit auf Platz 10 im Corruption Perceptions Index, einem Ranking von 180 Ländern weltweit, das seit 1995 jährlich von Transparency International veröffentlicht wird. Die Top-Länder im aktuellen Ranking sind Dänemark, Finnland und Neuseeland. Schlusslichter sind Somalia, Syrien und der Südsudan.
Das Ranking auf Platz 10 mag gut aussehen, aber dieses Ranking hat sich seit sechs Jahren nicht verbessert. Das liegt vielleicht daran, dass das deutsche Anti-Korruptions-Gesetz bis vor kurzem große Schlupflöcher enthielt, etwa bei der Erhebung unbegrenzter Redehonorare.
Was Geschenke betrifft, so darf jeder Beamte – vom Schullehrer bis zum Bundespräsidenten – keine Geschenke im Wert von mehr als 10 Euro annehmen. Als Polizisten 2006 einen Karton Weintrauben von einem Lkw-Fahrer entgegennahmen, den sie an einer Verkehrskontrolle angehalten hatten, wurden sie wegen “Annahme eines Vorteils” verurteilt.
Richter fordert Bundestag zu Verschärfung der Gesetze auf
2012 stellte sich heraus, dass Deutschlands damaliger Bundespräsident Christian Wulff mehrere Urlaubsreisen unternommen hatte, die von wohlhabenden Freunden und Bekannten bezahlt wurden. Wulff wurde später freigesprochen, aber er war wegen der Anschuldigungen bereits von seinem Posten zurückgetreten und seine politische Karriere erholte sich nie wieder.
Auch für Bundestagsabgeordnete wie Lindner gelten Sonderregelungen. Diese Regeln gerieten 2020 besonders in den Fokus. Damals wurde mehreren hochkarätigen Mitgliedern der damals mit der SPD koalierenden Christdemokraten (CDU) Vetternwirtschaft vorgeworfen, nachdem Journalisten diese Verträge zur Herstellung medizinischer Masken entdeckt hatten zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie seien an Angehörige und andere enge Kontaktpersonen abgegeben worden.
Im ungeheuerlichsten Fall zahlte ein Unternehmer rund 10 Millionen Euro an zwei CSU-Abgeordnete, um den Verkauf von Masken an die Bundesregierung zu ermöglichen, die er in Asien billig gekauft hatte. Als ein Richter den Fall überprüfte, stellte er fest, dass der Gesetzgeber einen Vorteil angenommen hatte, aber nicht der deutschen gesetzlichen Definition von Bestechung entsprach. Er forderte die Bundesregierung auf, Gesetzeslücken zu schließen.
Genau das hat die jetzige Koalition in Berlin zugesagt. Ein Gesetzesentwurf wurde jedoch noch nicht vorgelegt.