Jetzt, wo Rassismus in Deutschland zum Mainstream geworden ist, sollte es keine Überraschung sein, dass rechtsextreme Akteure in Hanau und anderswo „den Köder geschluckt“ haben, sagt Sheila Mysorekar. Rassismus aktiv zu bekämpfen ist der einzige Weg nach vorne.
Ich war nicht überrascht, als ich die Nachricht hörte. Ein Rechtsradikaler stürmte im hessischen Hanau in zwei Shisha-Bars und erschoss neun Menschen – junge Hanauer, die als „fremd“ galten. Es war ein brutales, rassistisch motiviertes Massaker – und doch war ich nicht einmal überrascht. Ich war auch nicht allein. Vielen aus Deutschlands Migrantengemeinschaften geht es genauso wie mir, ebenso wie schwarzen Deutschen und People of Color. Wir sind alle entsetzt, traurig, wütend; aber nicht überrascht.
Allzu oft erleben wir in unserem Alltag verbale und körperliche Aggression; wir hören Politiker öffentlich darüber diskutieren, ob und in welcher Form religiöse oder andere Minderheiten hierzulande willkommen sind. Wir sehen, dass brutale Angriffe der extremen Rechten mit der Zerstörung von Autos durch die politische Linke gleichgesetzt werden. Und dass rechtsextreme Terminologien wie “Islamisierung” mittlerweile zur normalen Mediensprache geworden sind.
Auf Shisha-Bars abzielen
Diese Sprache und Stimmung hat Eingang in die politische Rhetorik Deutschlands gefunden, wo die Alternative für Deutschland (AfD), eine Partei, die zu Recht oft als “parlamentarischer Flügel des Rechtsterrorismus” bezeichnet wird, im Bundestag vertreten ist. Seit Wochen attackiert die hessische AfD mit Internet-Memes Shisha-Bars und bezeichnet sie als Hort der “Ausländerkriminalität”. Ist es dann überraschend, wenn Rassisten den Köder nehmen? Der Mörder aus Hanau ist keineswegs ein Einzelgänger; er handelte in einem politischen und gesellschaftlichen Klima, in dem Minderheiten diskriminiert und junge Männer arabischer und türkischer Herkunft ausgesondert und kriminalisiert werden. Unter dem Deckmantel des Satzes „das kann man doch noch sagen“ hat sich Rassismus im Bewusstsein der deutschen Mittelschicht festgesetzt.
Auch die Medien haben zur Radikalisierung des Diskurses beigetragen. Selbst Morde wie der in Hanau werden lediglich als “fremdenfeindlich” bezeichnet, obwohl die Jugendlichen, die bei ihrem abendlichen Beisammensein brutal erschossen wurden, alles andere als Fremde waren. Ein Wort wie „fremdenfeindlich“ passt sich der Sichtweise des Täters an, nämlich dass Deutsche weiß sein müssen. Als Erweiterung dieses Denkens gehören all jene, die nicht weiß sind, nicht hierher, also sind sie „Fremde“. Aber es waren keine norwegischen Touristen, die ermordet wurden, sondern junge Hessen aus kurdischen, türkischen und bosnischen Familien. Rassismus ist der einzig richtige Begriff für diese Denkweise. Und es ist Rassismus, der zunehmend zu Gewalt führt.
Doch genau hier ist so viel schief gelaufen. Nach jedem Attentatsversuch versichern Politiker und Staatsoberhäupter, dass dies “nie wieder” passieren dürfe. Aber wenn eine Bundesministerin wie Julia Klöckner schreibt, der Attentäter habe “wahllos” auf Menschen geschossen, zeigt das, dass sie nichts verstanden hat. Auch wenn dieser Rechtsterrorist seine Opfer nicht persönlich kannte – er mordete gezielt: nämlich Jugendliche aus Migrantenfamilien.
Wie sicher sind wir?
Ich wohne direkt neben einer Shisha-Bar, in einem von Einwanderern geprägten Viertel, mit türkischen Metzgern und vietnamesischen Restaurants neben deutschen Kneipen. Wir alle gehören zu Deutschland. Aber wie sicher sind wir? Kann ich in meiner Straße einkaufen gehen, ohne Angst zu haben, dass eine Nagelbombe explodiert wie 2004 in der Kölner Keupstraße? Kann ich meine Haustür aufschließen, ohne mich umzusehen, ob ein bewaffneter Attentäter in die Shisha-Bar nebenan stürmt? Sind wir potenzielle Ziele für den nächsten Rechtsterroristen?
Heute startet in Berlin ein Treffen der „Neuen Deutschen Organisationen“, einem Netzwerk von rund 100 Postmigrationsinitiativen aus ganz Deutschland, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus einsetzen. Ihr Sprecher Karim El-Helaifi sagt zu dem Anschlag in Hanau: “Wir brauchen kein Mitgefühl, wir brauchen Schutz. Demokratie misst sich am Umgang mit Minderheiten.”
Keine Toleranz für rechtsextreme Ideen
Wenn Deutschland wirklich so fest zu seiner Demokratie steht, dann müssen alle rechtsextremen Netzwerke zerschlagen werden. Dazu gehört die endgültige Freigabe der NSU-Akten der hessischen Landesregierung. Es bedeutet keine Toleranz für rechtsextremes Gedankengut bei Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz. Und es bedeutet, dass struktureller Rassismus an Schulen bekämpft und die Sicherheit aller Menschen in diesem Land gewährleistet wird.
Die Lösung besteht nicht darin, mehr Sicherheitspersonal vor Synagogen oder Moscheen zu platzieren. Wie der Anschlag in Hanau zeigt, kann er uns überall treffen. Nein, die Lösung besteht darin, den grassierenden Rassismus zu erkennen und zu bekämpfen – auf allen Ebenen der Gesellschaft. Das ist unsere einzige Chance.
Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher*innen“, einem bundesweiten Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln und Sprachkenntnissen. Ziel ist es, auf mehr Vielfalt in den Medien hinzuarbeiten: vor und hinter Kameras und Mikrofonen und an den Redaktionen ebenso wie in der strategischen Planung, im Vorstand und in den Aufsichtsräten.