Welche Dynamiken sind besonders gefährlich – und wer sind die Hauptakteure?
Die drohende Eskalation des Krieges zwischen Israel und der Hamas ist seit Tagen das beherrschende Thema in den internationalen Medien, und der verheerende Raketenangriff auf ein Krankenhaus in Gaza-Stadt letzte Woche hat diese Gefahr nur noch erhöht.
„Aufgrund meiner Treffen und der Dynamik, die ich vor Ort beobachte, würde ich Folgendes sagen: Die Gefahr einer Ausweitung dieses Konflikts ist real, sehr, sehr real und äußerst gefährlich“, sagte Tor Wennesland, Gesandter der Vereinten Nationen für den Nahen Osten, gegenüber dem UN-Sicherheitsdienst Rat letzte Woche in New York.
Die Gefahr eines Zweifrontenkrieges
Ein Land steht bei den meisten gefürchteten Eskalationsszenarien ganz oben auf der Liste: Israels nördlicher Nachbar Libanon, Heimat der radikalen schiitischen politischen Partei und Militärgruppe Hisbollah, die von der Hamas und noch mehr vom Iran unterstützt wird.
Die Hisbollah strebt die Zerstörung Israels an und wird in vielen westlichen Ländern, darunter den USA und Deutschland, als Terrororganisation eingestuft. Auch militärisch ist sie weitaus mächtiger als die Hamas: Experten schätzen, dass sie derzeit über einen Waffenbestand von mindestens 100.000 Raketen verfügt. In den vergangenen Wochen sollen israelische Soldaten bei wiederholten Gefechten entlang der Grenze bereits bewaffnete Kämpfer getötet haben, die bis nach Israel vordrangen.
Die Hisbollah, eine zentrale politische Kraft im komplexen Machtgefüge des Libanon, rief nach der Krankenhaustragödie einen „Tag des Zorns“ aus, konnte jedoch bisher eine militärische Eskalation vermeiden. Viele Beobachter sagen, dass die Hisbollah-Kämpfer schnell in Schwierigkeiten geraten könnten, wenn die israelische Offensive im Gazastreifen sich ausweitet und Teile des Territoriums sogar von Israel besetzt werden.
Die Folge wäre ein möglicher Zweifrontenkrieg. Fast alle Militärexperten sind sich einig, dass dies eine enorme militärische Machtdemonstration Israels wäre, die die gesamte Region weiter destabilisieren würde.
Iran: Vom Terrorunterstützer zum direkten Teilnehmer?
Bisher gibt es keine eindeutigen Beweise dafür, dass Iran aktiv an den Vorbereitungen für die Terroranschläge der Hamas beteiligt war. Obwohl die Hamas bekanntermaßen vom Iran unterstützt wird, hat sie in der Vergangenheit auch immer wieder eigenständig Entscheidungen getroffen.
Irans Außenminister Hossein Amirabdollahian hat bereits auf die Möglichkeit einer „präventiven Aktion“ gegen Israel hingewiesen. Viele Beobachter sehen das primäre Ziel Irans jedoch eher darin, aus der Ferne einen Stellvertreterkrieg zu führen, indem es Hamas, Hisbollah und die palästinensische Terrorgruppe Islamischer Dschihad unterstützt und damit Israel de facto in einen Zweifrontenkrieg zwingt.
„Wir können nicht ausschließen, dass sich Iran auf irgendeine Weise für ein direktes Engagement entscheiden würde“, sagte der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, kürzlich dem US-Sender CBS. „Wir müssen uns auf alle möglichen Eventualitäten vorbereiten.“
Dieses Szenario beunruhigt viele regionale Experten am meisten, da eine direkte Intervention des Iran zahlreiche andere Staaten wie Syrien, Irak und Israels Hauptverbündeten, die USA, direkt in den Konflikt hineinziehen könnte.
Ägypten: Sorge vor einer Kettenreaktion
Aufgrund seiner direkten Grenze sowohl zu Israel als auch zu Gaza ist Ägypten direkt vom Krieg betroffen. Das Land unterhält seit vielen Jahren diplomatische Beziehungen sowohl zu Israel als auch zu den Palästinensern und hat sich in den letzten Wochen zu einem Zentrum der internationalen Politik entwickelt.
Während Ägypten als potenzieller Vermittler gilt, hat Kairo immer noch Angst, in den Krieg hineingezogen zu werden. Bisher lehnte Präsident Abdel Fattah el-Sissi die Aufnahme größerer Gruppen palästinensischer Flüchtlinge aufgrund des starken Widerstands in dem ohnehin wirtschaftlich angeschlagenen Land ab. Es gibt auch Befürchtungen, dass Hamas-Kämpfer in die Muslimbruderschaft eindringen und Kontakte mit ihr knüpfen könnten, einer Gruppe mit engen Verbindungen zur Hamas, die in Ägypten als Staatsfeind gilt.
„Der Sinai würde zur Basis für weitere Angriffe gegen Israel werden“, sagte al-Sissi letzte Woche. Dies wiederum könnte zu israelischen Angriffen auf ägyptischem Territorium und unvorhersehbaren Kettenreaktionen führen.
Die Ängste gehen über den Nahen Osten hinaus
Auch Europa hat zunehmend Angst, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Während das Vereinigte Königreich und die USA bereits Kriegsschiffe in die Region geschickt haben, halten sich die EU-Staaten mit militärischen Abschreckungsmaßnahmen zurück.
Gleichzeitig nimmt die Gefahr von Gewalt und Terroranschlägen durch Hamas-Sympathisanten auf europäischem Boden zu. Erst am vergangenen Mittwoch hatten Unbekannte versucht, einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin zu verüben. Auch bei gewalttätigen Demonstrationen in der deutschen Hauptstadt wurden diese Woche Dutzende Polizisten verletzt.
„Es sind jetzt so viele Kräfte im Spiel, dass es zu einem Stellvertreterkrieg kommen kann, der verheerende Folgen haben wird“, sagte Nahost-Experte Hasnain Kazim in einem Interview mit der ARD.
Und wie viele Beobachter betonen, spielen in den verschiedenen Szenarien nicht nur die geopolitischen Strategien der Regionalmächte eine Rolle. Jahrzehntelange Ressentiments, gezielte Propaganda und zunehmende Desinformation haben eine gefährliche Mischung geschaffen, die immer schwieriger zu kontrollieren ist.