Warum der deutsche Staat jedes Jahr Millionen Euro an die christlichen Kirchen zahlt und wie die Entlastung teuer zu stehen kommen könnte.
Jedes Jahr fließen große Geldsummen an die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. Im vergangenen Jahr erhielten sie zusätzlich zu den milliardenschweren Kirchensteuern, die der Klerus erhält, mehr als 600 Millionen Euro an staatlichen Fördermitteln.
Wenn wir verstehen, warum der katholischen und protestantischen Kirche enorme staatliche Zuwendungen zugute kommen, müssen wir uns mehr als zwei Jahrhunderte zurückversetzen, in die 20 Jahre der Besetzung Deutschlands durch Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach dem Sieg über das damalige erste Deutsche Reich ordnete der französische Herrscher eine weitreichende Trennung von Kirche und Staat an, einschließlich der Schließung und Enteignung von Klöstern und anderen kirchlichen Einrichtungen.
Ein Gesetz aus dem Jahr 1803 mit dem Namen „Reichsdeputationshauptschluss“ – im Englischen oft als Imperial Recess of 1803 bezeichnet – zwang die Kirchen, Geld und Land an oft benachbarte weltliche Fürstentümer zu übergeben. Als Entschädigung erklärten sie sich im Gegenzug dazu bereit, die Gehälter hochrangiger Geistlicher und andere Kosten der Kirchen zu übernehmen.
Hängt seit mehr als einem Jahrhundert in der Schwebe
Tatsächlich wurde jedoch bereits 1919 beschlossen, dass diese Zahlungen mit einer Einmalzahlung enden sollten. Es wurde erstmals in der Verfassung der Weimarer Republik verankert. Auch das Nachkriegsdeutschland erklärte, es werde sich an die Regelung halten und machte sie zum Bestandteil der 1949 verabschiedeten neuen Verfassung des Landes – dem Grundgesetz.
Und dennoch dauern die regelmäßigen Zahlungen des Staates an die Kirchen bis heute an und sind im Laufe der Zeit von rund 23 Millionen Euro im Jahr 1949 auf 602 Millionen Euro im Jahr 2023 gestiegen.
Überraschenderweise scheinen die 16 deutschen Bundesländer mit dem aktuellen Status quo recht zufrieden zu sein, sagt Hans Michael Heinig. Der Experte für Kirchenrecht sagte der DW, die beiden Kirchen hätten kein Interesse daran, eine einmalige „Ablösesumme“ zu zahlen.
„Die Kirchen sind durchaus zufrieden, weil sie zahlungsfähige Schuldner haben und diese staatlichen Zahlungen regelmäßig fließen.“
Aus wirtschaftlicher Sicht hätten die Länder jedoch einen schlechten Deal gemacht, weil sie die Einmalzahlung längst hätten leisten können, fügte der Experte der Universität Göttingen hinzu.
Die Bundesregierung in Berlin will die Staatszahlungen nun endgültig beenden. Im Innenministerium wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der Bund, Länder und Kirchenvertreter auf eine Kompromisslösung hoffen.
In den Gesprächen, die bis Ende des Jahres dauern sollen, soll festgelegt werden, wie hoch die Entschädigungszahlungen an die Kirchen sind und wie lange die laufenden Zahlungen fortgeführt werden sollen.
Riesige Reichtümer stehen auf dem Spiel
Wie viel Geld bei einem Deal auf dem Spiel steht, zeigt ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 2020, den die damaligen Oppositionsparteien FDP, Linkspartei und Umweltschützer eingebracht hatten. Die Summe, die in der Debatte im Umlauf ist, beläuft sich auf rund 11 Milliarden Euro – das 18,6-fache der aktuellen jährlichen Zahlungen und über einen Zeitraum von 20 Jahren zu zahlen. Natürlich müssten sie für diese Anzahl Jahre weiterhin die derzeitige staatliche Zulage von 600 Millionen Euro zahlen.
Der Münsteraner Verfassungsrechtsexperte Bodo Pieroth hält die Entschädigung für völlig übertrieben, da sie den ursprünglichen Wert des enteigneten Kirchenvermögens bei weitem übersteigen würde.
Bei einem jährlichen Zinssatz von 3 Prozent, so errechnete er für die DW, hätten die Kirchen in den letzten 100 Jahren das 194-fache des ursprünglichen Wertes erhalten – bei 5 Prozent wäre es etwa das 600-fache gewesen.
Kirchenexperte Heinig kann die Rechnung nicht akzeptieren. Er argumentiert, den Kirchen seien „Vermögenswerte entzogen worden, mit denen sie Gewinne hätten erzielen können“ und die staatlichen Zuwendungen seien lediglich ein Ausgleich für die entgangenen Einnahmen. „Wenn ich ein Haus längere Zeit als Mieter bewohne und es dann kaufen möchte, bekomme ich auch keine Gutschrift für die gezahlte Miete“, sagt Henig gegenüber der DW.
Können die Kirchen darauf verzichten?
Die staatlichen Zahlungen machen in Deutschland nur einen kleinen Teil der Kircheneinnahmen aus, der Großteil davon entfällt auf Steuern in Höhe von jährlich 13 Milliarden Euro. Hinzu kommen beträchtliche Einkünfte aus Kirchenvermögen, über die der Klerus Stillschweigen bewahrt. Die beiden Kirchen gelten als die größten Grundbesitzer in Deutschland und besitzen Wälder, Ackerland und andere Immobilien sowie Beteiligungen an Unternehmen wie Verlagen, Brauereien, Banken und Versicherungen.
„Der gemeinsame Jahresumsatz beider Kirchen wird auf 150 Milliarden Euro geschätzt“, sagt Carsten Frerk, ein Journalist, der sich seit Jahren mit Kircheneinnahmen beschäftigt. Die Einkünfte von rund 50.000 einzelnen Unternehmen und juristischen Personen lassen jegliche offiziellen Kirchenzahlen „undurchsichtig“ erscheinen, sagte er der DW. Das Gesamtvermögen der beiden Kirchen schätzte er auf etwa 300 Milliarden Euro.
Frerk sagt, dass die Dienstleistungen der Kirchen für die breite Bevölkerung, darunter Kinderbetreuung, Pflegeheime oder Krankenhäuser, und ihre internationalen finanziellen Verpflichtungen nicht gefährdet wären, wenn die staatlichen Zuschüsse abgeschafft würden. „Es besteht keinerlei Zusammenhang zwischen staatlichen Leistungen und den gesellschaftlichen Aufgaben der Kirchen. Nur maximal 2 % dieser Einrichtungen werden von den Kirchen selbst finanziert“, sagte Frerk.
Kein Ausweg
Kirchenexperte Heinig hält den gesamten Prozess für fehlerhaft, da es an einer genauen Frist mangelt, bis zu der eine Lösung gefunden werden muss. Nicht einmal das Bundesverfassungsgericht kann einschreiten und auf eine Lösung drängen. Schließlich bringt ein Deal politisch nichts, da zumindest eine Seite mit einem wahrscheinlichen Kompromiss unzufrieden wäre.
All dies vor dem Hintergrund einer zunehmend säkularen deutschen Bevölkerung, von der nur noch die Hälfte einer der beiden Konfessionen angehört und deren Mitgliederzahl bis 2060 voraussichtlich um weitere 50 % sinken wird. Im Gegensatz zu aktuellen politischen Befürchtungen kann die Kritik an einem wahrscheinlichen Deal einfach sein sterben an der Gleichgültigkeit der Menschen oder einem allgemeinen Mangel an Wissen über die komplexe Geschichte dahinter.