Deutschland baut seine Landwirtschaft um, um bis 2030 ein Drittel aller Betriebe auf Bio umzustellen. Doch angesichts der steigenden Inflation fordern die Landwirte mehr staatliche Unterstützung. Sie werden nach Berlin strömen, um sich Gehör zu verschaffen.
Bernd Schmitz besitzt einen kleinen Biobauern in Westdeutschland. Er ist verärgert über die neuen Vorschriften der Regierung für eine nachhaltigere Landwirtschaft, die in Zeiten steigender Inflation kommen.
Also macht sich Schmitz an diesem Wochenende auf den Weg, um mit Tausenden anderen Landwirten zu protestieren, die mit ihren Traktoren zu einer Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor in Berlin fahren. Sie wollen mehr Unterstützung für die Pläne der Regierung, die Landwirtschaft ökologisch nachhaltiger zu gestalten.
“Wir fordern eine Wende in der Agrarpolitik, die Qualitätsproduktion belohnt”, sagte Schmitz der DW. Der Schlachtruf #WirHabenEsSatt ist seit Wochen von 60 Aktivistengruppen geplant.
Jeden Tag schließen in Deutschland durchschnittlich sechs landwirtschaftliche Betriebe, vor allem wegen explodierender Produktionskosten. Derzeit gibt es landesweit über 250.000 landwirtschaftliche Betriebe, doch die Zahl sinkt stetig.
Auf seinem seit mindestens 1850 bestehenden „Hanfer-Hof“, den die Familie Schmitz in fünfter Generation führt, produziert Schmitz Milch von schwarz-weiß gefleckten Holstein-Kühen. Es ist jetzt der kleinste Bauernhof in der Gegend; alle anderen kleinen Betriebe haben aufgegeben. Fragt man Schmitz, wie viele Jahre wie 2022 er noch durchhalten kann, sagt er: „Eins.“
„Ich musste 50 Prozent mehr für Sprit und Strom bezahlen als im Vorjahr. Das können wir auf Dauer nicht verkraften“, sagte er. „Gemeinsam mit meinen Töchtern, die den Hof übernehmen wollen, muss ich überlegen, ob das noch eine Zukunft hat.“
Der Klimawandel bringt Dürre
Und dann ist da noch der Klimawandel, der den Wiesen zu schaffen macht. Letztes Jahr vergingen drei Monate ohne Regen. Also musste Schmitz seine Herde von 48 auf 35 reduzieren, weil seine von Dürre geplagten Weiden einfach nicht alle Tiere ernähren konnten. Ein Teufelskreis: kein Wasser von oben, kein Graswachstum, weniger Tiere und weniger Milch.
Rund 35.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland werden ökologisch bewirtschaftet. Aber sie wurden besonders hart von der Rekordinflation als Folge der russischen Invasion in der Ukraine getroffen. Erstmals in der Geschichte ist Deutschlands Markt für Bio-Produkte geschrumpft, laut dem Deutschen Bauernverband (DBV) ging der Absatz bis Ende Oktober um 4,1 % zurück.
Aufgrund der arbeitsintensiveren Produktion und der Anforderungen einer tier- und umweltschonenden Landwirtschaft müssen Verbraucher für Bioprodukte deutlich mehr bezahlen. Doch seit Monaten kürzen sie ab und machen einen großen Bogen um Bio-Supermärkte. Nachhaltig produzierte Lebensmittel werden heute überwiegend im Discounter gekauft. Dort muss Schmitz nun auch seine Milch verkaufen.
Der 57-Jährige sieht eine Mitschuld an der aktuellen Krise im Handel, der offensichtlich den eigenen Profit in den Vordergrund stellt: „Es kann nicht sein, dass wir nur einen moderaten Preisanstieg für unsere Milchprodukte sehen, aber die Verbraucherpreise steigen mehrmals.”
Der Bio-Bauer bekommt 56 Cent (0,61 $) für einen Liter Milch von der verarbeitenden Molkerei; pro Liter bräuchte er 14 Cent mehr, damit sich alles rechnet.
Die Bundesregierung will den Anteil der Biobetriebe bis 2030 auf 30 % steigern. Kritiker halten diesen ehrgeizigen Plan jedoch für illusorisch. Sie verweisen auf veränderte Verbraucherpräferenzen, die schleppende Umstellung der Anbauflächen auf Bio-Produktion und die fehlende Unterstützung durch die Politik.
„Wenn die Gesellschaft wirklich einen Umbau will, dann muss da Geld reingesteckt werden“, sagt Bernd Schmitz. “Wenn das nicht passiert, kann die Umstrukturierung nicht stattfinden.”
Schmitz ist enttäuscht von der aktuellen Mitte-Links-Koalition aus Sozialdemokraten (SPD), neoliberalen Freidemokraten (FDP) und umweltbewussten Grünen. Er sagt, sie hätten die Versprechen, die sie bei ihrem Amtsantritt vor einem Jahr gemacht hatten, nicht eingehalten.
Für Schmitz wird das im Kleinen deutlich, etwa in der Mensa des Bundestags, wo wenige Bio-Produkte auf der Speisekarte stehen. Und es geht bis hin zu Freihandelsabkommen, die deutschen Kleinbauern schaden könnten: Ein EU-Bündnis mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten könnte noch in diesem Jahr zustande kommen, und auch danach scheint wieder ein neuer Versuch eines TTIP-Abkommens mit den USA möglich Russlands Einmarsch in die Ukraine.
Für Schmitz ist das neue CETA-Abkommen mit Kanada bereits ein Schritt in die falsche Richtung. “Wir wollen zum Klimaschutz weniger Fleischkonsum in Deutschland und gleichzeitig ein Abkommen ratifizieren, das den Import von 60.000 Tonnen Rindfleisch aus Kanada erlaubt?” er fragt sich.
Wenn sich Schmitz an diesem Sonntag Hunderten protestierenden Bauern in Berlin anschließt, werden sie zum Umdenken aufrufen. Sie fordern mehr staatliche Unterstützung, um faire Erzeugerpreise für eine nachhaltige gentechnikfreie Landwirtschaft zu gewährleisten, eine klima- und artgerechte Umstellung der Landwirtschaft zu ermöglichen, fairen Handel zu fördern und Spekulationen im Lebensmittelbereich zu unterbinden.